Ihre Welt
Sie versuchte ihr Leben zu tanzen, mit nackten Füßen auf erdigem Boden. Es machte ihr nichts aus, sich dann und wann an Steinen und Wurzeln zu stoßen - das waren die Gelegenheiten, bei denen sie spüren konnte, dass sie wirklich lebte und ein Kind der Erde war. Manchmal kostete es sie einige Mühe, ihren Wurzeln nicht zu entfliehen und da zu bleiben und sie war sich nicht immer sicher, ob es IHRE Wurzeln waren, die sie hielten. Immer wenn diese Unsicherheit sie erfüllte, hörte sie auf die Gesänge der Vögel, das Plätschern des kleinen Gebirgsbaches, der durch ihren Garten floss, das Pochen ihres Herzens, die Laute, die ihr die Schmetterlinge leise zuflüsterten. Wenn ihr Puls den Atem aller Töne schlagen konnte, erhob sie sich und tanzte leichtfüßig aus ihrer Angst und genoss es, wie sicher Sonne, Mond und Sterne sie führten. Es machte ihr Spaß, zu erleben, wie all ihre Ängste, Schranken und Fesseln staunend am hohen Gartenzaun standen und ihr vielleicht etwas wehmütig aber auch bewundernd zuschauten. Es fiel ihr nicht immer so leicht, ihren Tanz zu tanzen, wie es manchen schien. Oft ließ sie sich, wenn die Melodien von Dur in Moll flossen, an den Ufern ihrer Sehnsucht nieder und aus ihren nach Klarheit suchenden Augen rannen Tränen der Trauer über Verlorenes und über quälende Unsicherheit, aber auch Tränen ihrer oft so frischen, lebendigen Freude, in das Meer der noch ungelebten Träume. Wenn dann alles geweint war was es zu beweinen gab, und der pralle Sack des Schmerzes lasch und leer am sandigen Boden lag, erhob sie sich wieder, beinahe glücklich warf sie ihre Arme in die Höhe und tanzte in wildem Wirbel weiter. Noch spürte sie das Salz ihrer Tränen auf ihren leicht geöffneten Lippen, doch irgendwie hatte sie sich mit dieser Würze des Lebens angefreundet, sie schien ihr beinahe zu schmecken. Sie tanzte sich in einen Rausch aus Hitze und Leidenschaft und, wenn sie dann außer Atem und erschöpft das lodernde Feuer der letzten lauten Stätte der Verwandlung erreicht hatte, riss sie sich die alten Kleider verlogener Kostüme vom Leibe und warf sie mit einem lustvollen Schrei in die gierigen Flammen der Reinigung. Sie ließ sich dann in das im Morgengrauen noch taufrische Gras fallen und sah jedes Mal neu beglückt zu, wie aus dem weißen Qualm neues Vertrauen aufstieg - Vertrauen darauf, dass das geschehen würde, was geschehen sollte - genau das, und nichts anderes. Ja, das war dann der Augenblick, in dem sie ganz still wurde. Sie schloss die Augen. Sie spürte die Zärtlichkeit des feinen Windes, der nach dem Sturm der lodernden Flammen über ihre leere Haut strich. Ein neugeborenes Kind war sie dann, das sich danach sehnte, berührt zu werden von Worten der Liebe und Hingabe, vom Streicheln der Mutter, des Geliebten und des eigenen Kindes. |
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